Von Carsten Kiehne

Die Sage von der Wegwarte

(aufgeschrieben von Carsten Kiehne in: "Die schönsten Sagen aus Ballenstedt & dem Selketal")
Der Zauber vom Brautstein
(Holunder)

In der
Eulenburg in Oker wohnte einst die Holda, eine nicht mehr ganz junge
Frau, mit ihren jüngeren Schwestern, die trotz ihrer Schönheit
keinen Mann für sich gewann. Das mochte an ihrer lockeren Zunge
liegen oder an ihrem wachen Geist, ich weiß es nicht zu sagen.Wie es
sie zu grämen begann, dass auch ihre jüngste Schwester unter die
Haube kam, da ging sie zur Kräutermuhme, die man in jener Zeit oft
auf der Halleschen Höhe sitzen und Beeren sammeln sah. "Den
Brautstein musst berühren - das, wass du willst erspüren -
schon hat die Holle dich belohnt und zu dem nächsten Wonnemond wird
dich ein Mann heimführen!", sagte die Alte, doch mahnte, dass es
nicht leicht wäre dort hinaufzukommen, würde doch in den Bergen ein
Lindwurm hausen und garstige, gelbzähnige Gnome rumgrummeln. Und
tatsächlich, wie sich Holda auch abmühte, sie kam nicht einmal in
der Nähe des Brautsteines. Immer ging irgendetwas schief: Mal war
vor Arbeit keine Zeit, dann jagten die Gewitterstürme übers
Okertal, dann war sie krank und kam der Tag, an dem sie sich wirklich
auf den Weg machte, hatte sie nach kurzer Zeit das Gefühl, die Beine
würden ihr bleiern schwer werden, ganz so, als hätte ihre Neffen
und Nichten den ganzen Tag getragen. Ja, richtig, es fühlte sich
genauso an: So als ob sie hundert kleine Wichte tragen müsste! Das
waren die Gelmkegnome und Gichte, die sich an sie hefteten, kaum
hatte sie den den Berg betreten. Dann aber fiel Holda etwas
Seltsames, fast Wunderbares auf: Immer, wenn sie unverrichteter Dinge
nach Hause schleppte, die Pforte zur Eulenburg passierte, dann fiel
alle Schwere von ihr ab. Denn dort am Eingang standen zwei
Hollerbüsche von denen es ja heißt, man könne ihnen alle
Krankheiten anbinden. Jeder Irrwicht oder Krankheitsdämon würde vom
Holunder angezogen, in die Erde gesogen werden und fiele in den
Kessel der Frau Holle. Da wusste Holda endlich, was zu tun war. Sie
pflückte einige Beeren in ihr weißes Hemdchen, brach sich ein
Stöckchen und machte sich zur selben Stunden wieder auf den Weg. Und
dieses Mal, mit dem Hollerzweig in der Hand, den Beeren im Hemd und
der Zuversicht im Herzen, langte sie unbehelligt beim Brautstein an!
Doch Vorsicht: Der Hollerbusch schützt zwar Haus und Hof vor bösen Geister, bringt auch Gesundheit, Liebe und Fruchtbarkeit, ist aber ein Baum des Lebens und des Todes zugleich. Nicht umsonst heißt es, dass nur Kinder und Frauen mit reinem Herzen seine Äste brechen dürfen!
"Willst du aus dem Leben
scheiden, musst nur den Holler fällen, schneiden!"
(dem Volke abgelauscht und augeschrieben von Carsten Kiehne)
Die Geschichte vom Elfenblut
(Johanniskraut)

Die Geschichte vom Elfenblut
Es war die Zeit der großen Schlachten um den rechten Gott, die am Rande des Ostharzes tobte. Die Christen versuchten vehement, die Heiden davon abzuhalten, Sonnenwendfeuer auf den Altären Wotans zu entzünden: "Auf diesen Teufelskanzeln werden nimmermehr die Götzenflammen zum Himmel steigen!", frohlockten die christlichen Priester, als man den Germanen die lichten Täler kämpfend abspenstig machte und sie endlich in die undurchdringlichen Wälder jagte. Am Ufer der Bode entstand das wehrhafte Kloster Wendhusen dort, wo jetzt die kleine Stadt Thale liegt. Und nördlich davon, an der "Teufelsmauer", erhielten die ruhmreichsten fränkischen Krieger Land zum Siedeln. Jene Flurstücke sollten gerodet und urbar gemacht werden, so dass sich der christliche Geist für alle Zeit im Harz verwurzeln würde. Einer jener Krieger, Johannes mit Namen, war des Kämpfens leid. Wie vieler Menschen Leben er im Namen des Herrn und im Auftrag Karls genommen hatte, vermochte er nicht mehr zu sagen. An diesem Ort wollte er nun endlich Ruhe und eine neue Heimat finden, um eine Familie gründen zu können. Zuvor aber musste der Wald der Wohnstatt weichen. Den ganzen Tag hieb er auf die Bäume ein, bis am Abend nur noch drei riesigen Eichen standen. Wie er sich aber unter diesen schlafen legte, schreckte er aus den Träumen hoch, hörte ein Wimmern und Schreien und sash bald in den Baumkronen seltsam silberne Lichter leuchten. "Beim Herrn im Himmel, was ist das für ein teuflichen Treiben?", schrie er und griff nach seiner Axt. - "All unsere Schwestern sind verschieden, nur uns zu töten hast du bisher vermieden. Wie willst du auf einem Mordplatz Frieden finden? Wie, mit dieser Schuld, ein neues Sein begründen?", hörte er sagen und die Lichter, die in den Baumkronen schwammen, verwandelten sich zu wunderschönen Frauenkörpern. Elfen waren es, die letzten ihrer Art. "Ach, ich ahnte doch nicht.....!", wehklagte Johannes und bekniete die lichtvollen Wesen, dass sie ihm doch bitte verzeihen mögen. "Ich schwöre, beim Blut meiner Ahnen, dass euch kein Leids getan wird, solang' ich lebe!". Und wie er's sagte, nahm er die Klinge seines Schwertes in die linke Hand, fasste fest zu und zug sie langsam aus seinem Griff heraus. Eine klaffende Wunde blieb in seiner Hand zurück, worauf ein Tropfen nach dem anderen den sandigen Boden netzte. Auch auf dem steinenen Altar, an dem bereits vor tausend Jahren die Alten jene Waldwesen beschenkten, füllte sich ein Näpfchen mit dem Blut des Mannes. "Es ist genug!", sagte da eine der Elfen, stand gleich als lichtvoller Geist vor dem Mann am Opferstein und nahm die blutende Hand des Kriegers in die ihre. Sofort heilte seine Wunde. Fassungslos betrachtete er seine Hand: Keine Narbe war geblieben. "Dein hoher Schwur - für alle Zeit - hat dich von deiner Schuld befreit!", flüsterte die Elfe andächtig und fügte hinzu, "Und hälst dich dran, kann kein Schattengeist an dein Herz heran!" So kam es, dass das Blut des Johannes allen Menschen zugute kam, denn überall, wohin es getropft war, wuchs ein wunderbares neues Kraut. Das vermehrte sich zusehends und wuchs bald überall dort, wo Menschen mit dem inneren Teufel, also ihren Schatten ringen. Johanniskraut ward es bald genannt und ist auch heute noch als Elfenblut bekannt. Noch heute fließt das Blut des Johannes in jeder Pflanze. Ihr werdet es bemerken, schneidet ihr das Kraut. Weshalb die kleinen Blätter so durchlöchert sind, erzählt eine weitere Legende: Der Teufel selbst soll in Gegenwart des Johanniskrauts nämlich all seine Kraft und Größe verlieren. In der Nähe einer solchen Pflanze wird er ein jedes Mal winzig klein. Hilflos soll er einst mit seinem Dreizack auf das Kraut eingestochen haben. Vielmehr aber, als die Blätter zu durchlöchern, vermochte er nicht!
(aufgeschrieben von Carsten Kiehne)
Ein wirkliches Königskind
(Kamille)

Ein wirkliches Königskind
"Du unscheinbare Schöne am Feldesrand, von der ich als Erzähler nichts zu sagen fand. Stehst schweigend vor Wonne in der Frühlingssonne und siehst weit ins Harzer Land. Mir ist's, als schüttelst du dich im Wind und lachst mich aus, du Gotteskind, weil ich einfach keine Sage find', die dich deiner Pracht besingt!"
Da hielt ich die Nase dicht über dich
und mir war's, als liefe die Zeit zurück. Ich sah König Heinrich
vom Vogelherd; sah auch, wie stetig sein Herz sich erschwert, denn
wem sollt er sein Reich nur vermachen? Vier Söhne sind's und der
alte Brauch, jedem ein Stück Land zu lassen. Doch war'n ja erst die
Hunnen besiegt, ein deutsches Reich in Form gekriegt, drum wollt' er
es anders anfassen: Jeder der Söhne sollt' sich gleich beweisen, auf
der Suche nach Krönungsinsignien verreisen und bald kamen sie nach
Quedlinburg zurück. Thankmar brachte ein blutdürstend' Schwert;
Heinrich ein Zepter, das die Ordnung verkehrt; Brun die Krone, die
ihm bisher verwehrt, nur lag Ottos Wegen kein Glück! "Lausch",
sagt die Kamille, "was dann geschah: Herr Otto saß am Feldesrand
der Vaterstadt nah; betrübt kam er doch mit leeren Händen, nur ich
konnt' ihm noch helfen, das Blatt zu wenden, zum Glück, dass gerade
Johannistag war!!" Du unscheinbare Schöne am Feldesrand, wie mein
Herz deine sinnlichen Worte fand und ich träumend in deinem Kelch
versank, da sah ich Herrn Otto vorm König stehen, mit einem
Sträußlein tausendschön, der vom Vater bekam ein Lächeln zum
Dank. Da erhob sich Herr Heinrich im Krönungssaal, das Volk kniete
nieder mit einem Mal, wie der König sein hohes Wort erhob: "Herrn
Otto, der die Kamille gebracht, die unser Gott uns zum Heiland
gemacht, sei das Königreich zum Lohn und unser Lob!" So kam es
dann, dass Heinrich I. Seinen Lieblingssohn Otto (wohl wegen einem
Sträußlein Kamille) zum Nachfolger und zum Alleinherrscher
erklärte. Wer's nicht glaubt: Schon im alten England trugen die
zukünftigen Könige bei der Krönungszeremonie die als heilig
geltende und heilbringende Kamille bei sich. In Ägypten wurde ihre
sonnenförmige Blüte gar als Blume des Sonnengottes Ra verehrt!
Kräuterwissen
Einer Legende nach sollen die Blüten verwunschene Soldaten sein, die zu viel Leid auf sich geladen haben. Eine andere Sage erzählt, dass junge Mädchen niemals an einer Kamille vorübergehen sollten, ohne sich zu verbeugen. Diese bescheidene Demut vor dem "Mutterkraut" würde zu Schönheiten und gebärfreudiger Kraft führen. Unsere germanischen Vorfahren nutzen diese Heilpflanze wohl als eine ihrer heiligsten Pflanzen für Räucherungen während der Sommersonnenwende, wobei ein süßlich, warmkrautiger Duft beim Verbrennen entsteht. Dieser Qualm würde ruhig und ausgeglichen machen, die dunklen Nebelschleier aus dem Geist vertreiben und auch die Schatten von der Aura nehmen - ein segenreicher Effekt.
In der Volksmedizin galt die Kamille als Allheilmittel, und obschon Hildegard von Bingen es nicht einmal für nötig hielt, sie zu erwähnen, lobt das "Leipziger Kräuterbuch" (1435) ihre Kraft über alle Maße: "Sie löst Verhärtungen auf und macht weich; was sie auflöst, wird fließend gemacht. [...] Sie mildert die Schmerzen, erweicht harte Glieder, macht Verdickungen der Haut sanft und vertreibt alle Fieber, die durch cholerische Feuchtigkeiten entstehen." Die Kamille würde auch nach Maria Treben Entzündungen hemmen, beruhigend, schweißtreibend und krampfstillend wirken; Durchfall und Magenleiden, Ausschläge, Fieber, Wund- oder Zahnschmerzen und vieles mehr heilen.
Tee
Als Tee angwendet 1 gehäuften TL auf 1 Tasse heißes Wasser, lassen es 2-3 Minuten lang ziehen, seihen die Kräuter ab und genießen mehrere Tassen am Tag.
Umschlag
Für die Heilung unterstützenden Umschläge1 Handvoll Kamillenblüten, die in einer Schüssel gegben wird und mit heißem Wasser übergießen und 3-4 Minuten ziehen lassen. Anschließend wird ein Baumwolltuch im Kamillesud getränkt und auf die betroffene Stelle aufgelegt.
(aufgeschrieben von Carsten und Sabrina Kiehne)